Bayern rollend entdecken
Dreizehn Rollstuhlfahrer und acht Betreuer waren zwölf Tage mit vier
Kleinbussen unterwegs, um die Oberpfalz rund um den Ort: Pleystein und das
Nachbarland Tschechien zu bereisen. Die Caritas – Regionalstelle Erfurt,
ermöglicht behinderten Menschen Abwechslung vom Alltag.
Auch als junger Rollstuhlfahrer nehme ich gern am gesellschaftlichen Leben
teil, soweit meine körperliche Behinderung mir dies ermöglicht. Dazu
gehört für mich auch, einmal im Jahr reisen zu können. Ich suchte für den
Sommer 2002 eine preiswerte Möglichkeit, die eine 24-Stunden-Betreung
beinhaltet, und erfuhr von zwei „Freizeiten für Körperbehinderte“, die von
den Regionalstellen Erfurt und Eichsfeld des Caritas – Verbandes e.V.
angeboten wurden.
Zur Auswahl standen der bayrische Ort Pleystein und der
am hessischen Vogelsberg gelegene Ort Herbstein. Da mir das Bundesland
Bayern durch frühere Aufenthalte in landschaftlich einmaliger Erinnerung
geblieben ist, wollte ich gemeinsam mit zwölf weiteren Rollstuhlfahrern die
Gegend um Pleystein erkunden, und meldete mich in Erfurt an.
So traf ich mich wenig später, am 01 Juli 2002, um 09.30 Uhr,
auf dem Autobahnparkplatz
Erfurt – Schmira mit allen Teilnehmern und acht Betreuern. Nach dem wir mit
unseren Elektrorollstühlen in einem der vier Kleinbusse verankernd Platz
gefunden hatten, unsere Rollstühle zum Schieben sowie weiteres Gepäck auf
einen Anhänger verladen war, begann unsere Fahrt in Richtung Oberpfälzer
Wald. Gegen 16.00 Uhr kamen wir in der „BRK – Familien - Ferienstätte Haus
Sonnenhang“ an. In 50 Appartements finden dort 176 Gäste Platz. Ich kann
wirklich bestätigen, dass die großzügig angelegten Räumlichkeiten sich sehr
für Behinderte oder auch für kinderreiche Familien eignen. Nach dem alle
ausgestiegen waren, brachten die Helfer die zu schiebenden Rollstühle und
das dazu gehörende Gepäck in die für uns vorbereiteten Appartements, wo wir
für die kommende Zeit Quartier bezogen.
Nach dem Abendbrot trafen wir uns
im Grünen, wovon unser Haus reichlich umgeben war, zu einer
Vorstellungsrunde der ganzen Gruppe. Dabei wurden auch Informationen
gegeben, was in der nähren und weiteren Umgebung sehenswert wäre. Wir
Teilnehmer brachten unsere Wünsche mit ein, um einen abwechslungsreichen
Programmplan erstellen zu können.
Wie wir nach der ersten Nacht und einem guten Frühstück feststellten,
mussten unsere Überlegungen dennoch flexibel bleiben. Am Dienstag, den
02. Juli, regnete es leider den ganzen Vormittag, so dass keine Erkundung
des Ortes möglich war. Uns wurde dennoch nicht langweilig, denn auch für
diese nicht so angenehme Wettersituation war vorgesorgt. Es bestand die
Möglichkeit verschiedenste Gesellschaftsspiele zu nutzen, oder aber
Fensterbilder zu malen. Dies versuchte ich zum ersten Mal überhaupt und
konnte bei der künstlerischen Tätigkeit meine Feinmotorik testen.
Am Nachmittag wagten wir nun doch noch einen kleinen Spaziergang durch
Pleystein. Der damit verbundene Besuch eines Cafés, wurde für Fans
volkstümlicher Musik zu einem Genuss mehrerer Sinne.
Am Mittwoch,
den 03. Juli, konnten wir unsern ersten richtigen Ausflug
starten, der uns zu dem bekannten Kurort Marienbad in Tschechien führte.
Mit unseren Rollstühlen erkundeten wir bei strahlender Sonne und warmen
Temperaturen die Kurstadt und deren Umgebung.
Die musikalisch unterlegten
Wasserspiele verdeutlichten mir wieder mal, wie schön es sein kann,
Augenblicke bewusst wahrzunehmen.
Da wir am Mittwoch den ganzen Tag unterwegs waren, waren unsere
Teilnehmer im Rentenalter sicher froh, den Donnerstagvormittag zur freien
und vielleicht eher entspannenden Gestaltung nutzen zu können. Während
des Besuches einer Grab- und Gedenkstätte am Nachmittag wurde mir ganz
persönlich bewusst, dass die Kriegszeit leider ein sehr trauriger Teil
der deutschen Geschichte ist, den wir niemals vergessen dürfen, denn jeder
der 30000 Menschen, die im Lager Flossenburg und seinen sechs Außenlagern
umkamen, war einer zu viel. Mit ihnen starben währenden den beiden
Weltkriegen noch unzählige Opfer, deren Leben so einzigartig waren, wie auch
das unsere ist. Orte, wie Flossenburg und ebenso alle anderen Gedenkstätten
müssen uns immer wieder mahnen, das Leben von Tier und Mensch auf dieser
Erde zu achten und zu schützen.
Sonne, die zum Urlaub dazu gehört, fanden wir am 05. Juli in Weiden.
Die Stadt wurde unter anderem durch „Weißes Gold“ bekannt. Einen Einblick
geschichtlicher Art gibt das Porzellanmuseum der Firma Seltmann, welches
wir besichtigten. Von den künstlerisch umgesetzten Ideen, die in den so
zerbrechlichen Ergebnissen zu bewundern waren, war ich sehr beeindruckt.
Bevor sich für viele unserer Gruppe der Wunsch, einmal richtig einkaufen zu
können, erfüllte, verzehrten wir im Garten des Museums unsere
Marschverpflegung, die wir bei jedem Tagesausflug von unserem Haus
mitbekamen.
Anschließend machten wir die Weidener Fußgängerzone unsicher.
Dies so zu lesen, mag auf den ersten Blick gefährlich erscheinen, war es
aber überhaupt nicht. Die große Gruppe teilte sich in mehrere Kleine und
somit konnte jeder - mit oder ohne Hilfestellung der Betreuer - das Geschäft
besuchen, wo er hin wollte. Wenn man als Rollstuhlfahrer im Alltag keine
oder nur eingeschränkte Möglichkeiten dazu hat, dann ist es schon etwas
Besonderes mal in ein Geschäft reinzufahren, sich dort umzuschauen und
vielleicht nach eigener Auswahl etwas kaufen zu können.
Die Abende waren freigestaltbar. Auch Pleystein hatte in diesen Tagen viel
zu bieten. Der Turn- und Sportverein feierte sein 100-jähriges Bestehen mit
einem Fest, das vier Tage dauerte. Drei Abende lang machte sich eine kleine
Gruppe auf den Weg, um zu erleben, wie ausgelassen in bayrischen Festzelten
bei Blasmusik gefeiert wird. Dem, mit achtundsiebzig Jahren, Ältesten
unserer Gruppe, ging dabei das Herz auf, was mich als jüngerer Mensch
persönlich sehr beeindruckte.
Ich hatte zwar etwas weniger geschlafen, startete aber dennoch fröhlich,
wie sonst auch, in den 06. Juli. Nach dem Frühstück war wieder freie Zeit,
bevor wir nachmittags ein Freilandmuseum besuchten. Dort konnte man alte
Bauerndörfer mit Wohnhäusern, einer Schmiede und einer Mühle besichtigen.
Die hier original wieder aufgebauten Gebäude sind teilweise bereits
dreihundert Jahre alt. Sie spiegeln die Bau- und Lebensweise
unterschiedlicher bayrischer Regionen wieder. Ich fühlte mich an die Zeit
erinnert, da meine Familie ähnliche Landwirtschaft betrieb, wie dort während
einer Führung erklärt wurde. Nach diesem informativen Nachmittag ging es
wieder zurück nach Pleystein. Dort nutzten wir für einen geselligen
Gruppenabend die Kegelbahn, die neben Sauna, Solarium und Kneip – Baden
ein Freizeitangebot des Hauses ist, was jeder Gast nutzen kann.
Für den Sonntag, 07 Juli, bestand die Möglichkeit am Gottesdienst der
Gemeinde teilzunehmen. Am Nachmittag, der uns zur freien Verfügung gegeben
war, erreichte das Fest des TSV Pleystein mit einem Umzug seinen Höhepunkt.
Davon bekam ich persönlich einen Teil mit. Abends ließ ich mich gemeinsam
mit Anderen unserer Gruppe wieder von der bayrischen Festzeltgemütlichkeit
bei Blasmusik anstecken.
Mit Montag, dem 08. Juli, begann die zweite Urlaubswoche. Von einem
tschechischen Kurort war bereits die Rede. Da der gestrige Sonntag größten
Teils erholsam gewesen sein durfte, stand heute ein Besuch des zweiten
bekannten Badeortes im Nachbarland auf dem Programm. Wenn man gemütlich
durch die Stadt rollt, wie wir, kann man dort hohe Häuser mit renovierten
Fassaden bewundern, aber vom eigentlichen Kur- und / oder Badebetrieb ist
mir nicht viel aufgefallen.
Von Karlsbad zurück sollte diesmal nicht unser
Pleysteiner Domizil das Ziel sein. Wir fuhren direkt zu einem
Burgrestorange im nahe gelegenen Oberfahrenberg. Nach einem heißen
Sommertag konnte man das Abendbrot seiner Wahl auf der Terrasse genießen.
Anschließend fuhren wir nach Hause. Ich selbst nutze mit vier weiteren
Leuten aus der Gruppe die letzte Chance mit den Pleysteinern ihren Turn- und
Sportverein zu feiern. Die Blasmusik der vergangenen Abende war zwar
mitreisend, aber die aktuelle Musik der Beach – Party gefiel uns dann doch
am Besten.
Am 09. Juli war es ebenfalls sehr heiß. Wir entschieden uns das Weidhäuser
Freiband zu besuchen. Wer wollte, konnte sich mit Unterstützung der Helfer
vom Wasser abkühlen lassen. Auch wenn dieser Nachmittag ruhig verlief, war
es angenehm ein Stück Sommer, der in Deutschland zu kurz ist, spüren zu
können. Den Abend nutzte ich zu einer persönlichen Ausfahrt durch die grüne
Natur, nahe unserer Unterkunft. Kino, was der größte Teil der Gruppe an
diesem Abend erlebte, lockte mich nicht so sehr.
Der 10. Juli war wieder ausgebucht. Gegen Mittag besichtigen wir die
Dreifaltigkeitskirche "Kappel", auf dem nahe Waldsassen
gelegenen Glasberg. Die von Georg Dientzenhafer 1685 bis 1689 errichtete
Kirche, soll durch die in der Architektur und Ausstattung ausgeprägten
Dreiteilung auf das Dreifaltigkeits – Geheimnis hinweisen.
Das gemeinsame
Gebet bezeugte, dass wir unseren Glauben nicht nur in der heimatlichen
Umgebung leben, sondern ihn überall zu vertreten bereit sind. Beim
anschließenden Picknick vor diesem Gotteshaus ging es lustig und entspannt
zu, bevor wir die Klosterkirche von Waldsassen selbst besuchten. Ich
verstehe das Innere dieser Kirche, Gold und aufwändige Gemälde, als Ausdruck
seiner Bedeutung zur Entstehungszeit. Einen solchen Ort in Ruhe auf sich
wirken zu lassen, braucht eigentlich einen eigenen Besichtungstermin, ohne
vorherige oder folgende Programmpunkte, die ich an diesem Tag dennoch nicht
missen wollte.
Donnerstag, 11. Juli: Nach dem Frühstück begannen schon viele ihre Sachen zu
packen.
Einige der Helfer bastelten noch im Gruppenraum, was ich erst am
späten Abend verstehen sollte. Ich erkundete am Vortag der Rückreise noch
einmal alle Pleysteiner Wege, wo wir, oder ich selbst, während der
vergangenen Tage unterwegs gewesen bin. Der Abschiedsabend begann mit einer
Grillparty und setzte sich, wie angedeutet, bei Gesellschaftsspielen in
großer Runde fort. Dabei wurden unter anderem Fotos verteilt, die von uns
Teilnehmern teilweise unbemerkt entstanden. So erhielten wir Erinnerungen an
erlebnisreiche Tage, wie frischer und schöner gestaltet sie nicht hätten
sein können.
Freitag, den 12. Juli, nahmen wir unser letztes bayrisches Frühstück ein,
bedankten uns noch einmal bei einem gastfreundlichem Haus, was uns während
den vergangen Tage alle Wünsche zu erfüllen bereit war, und reisten die ca.
300 Kilometer nach Erfurt – Schmiera zurück. Wir kamen gesund an. Von Erfurt
– Schmira aus fuhr jeder in seine heimatliche Umgebung zurück.
Ein großer Dank gilt den acht Helfern, die von Reisebeginn bis zum Ende im
Dauereinsatz waren, um uns eine Betreuung sicher stellen zu können, die
keine Wünsche mehr offen ließ.
Dieser Artikel schilderte die von der Regionalstelle Erfurt organisierte
Zeit aus der Sicht eines Reiseteilnehmers. Mögen meine Ausführung die
Notwenigkeit solcher Angebote verdeutlichen. Für viele behinderte Menschen
ist es die einzige Abwechslung des Jahres, die auch weiterhin möglich
bleiben sollte.
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