Abenteuer - Sachsenring
Auch diesmal waren wieder dreizehn Rollstuhlfahrer und acht Betreuer zwölf Tage lang mit drei Kleinbussen unterwegs. Mit dem Programm, welches die Caritas - Regionalstelle Erfurt ermöglicht, erleben auch behinderte Menschen unvergessliche interessante Urlaubstage.Für viele Menschen sind die Urlaubswochen die schönste Zeit des Jahres. Sie ermöglichen Abwechslung vom Alltag, dem gewohnten Umfeld und auch mal von den Menschen, von denen man täglich umgeben ist. Als junger Rollstuhlfahrer kann ich sagen: dies alles gilt auch für behinderte Menschen. Viele Betroffene sind im Alltag, aber insbesondere bei Unternehmungen, auf betreuende Hilfe angewiesen. Auch für mich ist dies der wichtigste Punkt bei der Planung von Unternehmungen. Deshalb nahm ich Kontakt zur Regionalstelle Erfurt des Caritas - Verbandes e.V. auf, und erfuhr von einer "Freizeit für Körperbehinderte", die auch eine 24-Stunden-Betreung beinhaltet. Dieses Angebot gefiel mir, zumal ich das ostdeutsche Bundesland Sachsen nicht kannte. Ich hatte zwar schon von der bekannten Rennstrecke am Sachsenring gehört, hätte allerdings nicht gedacht dieses Flair persönlich live erleben zu können.Unsere Reise nach Hohenstein - Ernstthal startete am 12. Juli 2004. Wir, alle dreizehn behinderten Teilnehmer sowie unsere acht Betreuer, trafen uns auf dem Autobahnparkplatz Erfurt - Schmira. Bei Regen war das Beladen der drei Kleinbusse nicht gerade einfach. Nach nur fünfundvierzig Minuten waren die Elektrorollstühle samt deren Benutzer in den Fahrzeugen vorschriftsmäßig verankert und angegurtet. Unsere Rollstühle zum Schieben sowie weiteres Gepäck wurde auf einem separaten Anhänger mitgeführt. Nach ca. 2 1/2 Stunden Fahrt erreichten wir in Hohenstein - Ernstthal das Haus Bethlehemstift, wo wir uns für die nächsten Tage einquartierten.Zur Anlage vom Bethlehemstift gehören vier Gebäude, eine große Parkanlage mit Sitzgruppen, Grillplatz, Volleyballfeld und Kleinkinderspielplatz, sowie Parkmöglichkeiten für alle Gäste. So dürfte jeder Gast für sich das Richtige finden. Wir fanden gepflegte und geschmackvoll eingerichtete Zimmer mit Dusche, WC und Telefon vor. Kurz nach unserer Ankunft wurden wir auch offiziell von der Chefin sehr herzlich willkommen geheißen. Bei Café und Kuchen, ein erstes Zeichen der sächsischen Gastfreundlichkeit, bekamen wir allgemeine Informationen.Nach dem ersten Abendbrot begann nun eigentlich, was ich in der Überschrift als Abenteuer bezeichnet habe. Wir, ich und die anderen, machten uns mit unseren Helfern auf den Weg die Umgebung vom Bethlehemstift zu erkunden. Als Ergebnis kann ich von einem interessanten Waldspaziergang berichten. Trotz Beschilderung erreichten wir den Ortskern von Hohenstein - Ernstthal nicht. Der Regen war mal wieder schneller, als wir. Unsere gute Stimmung wurde dadurch nicht beeinträchtig. Wir kamen rechtzeitig zur allgemeinen Vorstellungsrunde wieder zurück. Bei derartigen Runden lernt man sich gegenseitig schon mal etwas kennen, erfährt etwas zum Programm und kann dazu seine eigenen Vorschläge einbringen.Am Dienstag, dem 13. Juli, unserem ersten kompletten Tag am Urlaubsort, konnten wir vormittags nicht so aktiv werden, wie wir es eigentlich wollten. Es regnete leider erneut. Auch für diese nicht so angenehme Wettersituation war vorgesorgt. Es bestand nämlich die Möglichkeit zu basteln. Ich beobachtete, wie beispielsweise Teelichtgläser durch eine eigene kreative Gestaltung einen persönlichen Wert erhalten können.Das Daetz - Centrum, in Lichtenstein, nicht mit dem Schweizer Ort zu verwechseln, war unsere erste nachmittägliche Ausflugsstation. Die Begründer des Centrums, Herr Peter Daetz und die Stadt Lichtenstein, ermöglichten so die weltweit einzigartige Dauerausstellung "Meisterwerke in Holz". Hinter diesem Titel verbergen sich 600 außergewöhnliche Exponate der Holzbildhauerkunst aus fünf Kontinenten. Auf sehr lebendige Weise, unterstützt durch ein modernes Audiosystem, wird vermittelt, zu welchen unglaublichen Leistungen Menschen in aller Welt fähig waren und sind. Das Daetz - Centrum beinhaltet nicht nur die erwähnte Ausstellung, sondern bietet auch die Möglichkeit, das Handwerk der Holzbildhauerkunst in einem Studiengang erlernen zu können. Diese Ausstellung wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.Am Mittwoch, dem 14. Juli, waren wir den ganzen Tag unterwegs, denn auf Schloss Augustusburg gab es viel zu entdecken. Die Motorradsammlung gehört zu den bedeutendsten und umfangreichsten Zweiradsammlungen Europas. Ich konzentriere mich mal auf die Zeit der ehemaligen DDR und erwähne an dieser Stelle die legendäre MZ, welche in Zschopau gebaut wurde. Andere, mir völlig unbekannte, faszinierende Fahrzeuge konnte ich außerdem in dieser Ausstellung bewundern. Neben der Motorradausstellung gibt es auf Schloss Augustusburg noch ein Kutschenmuseum. Hier lassen sich Stadt- und Gesellschaftswagen sowie Schlitten des 19. und 20. Jahr-hundert bestaunen. Höhepunkt dieser Schau war für mich persönlich, die Staatsberline, welche nach Angaben dortiger Informationstafeln um 1790 gebaut wurde. Auch wenn ich persönlich sie mir nicht anschaute, so möchte ich die Greifvögel, welche auf dem Schloss live erlebt werden können, nicht unerwähnt lassen. In meinem Artikel nenne ich lediglich die Sehenswürdigkeiten, die wir wahrnehmen konnten, aber ich bin mir sicher, dass es auf Schloss Augustusburg noch viel mehr zu sehen und zu erleben gibt.
Jetzt, wo ich in meiner Reiseberichterstattung schon beim Donnerstag, dem 15. Juli, angekommen bin, möchte ich nochmals auf die sächsische Stadt Lichtenstein zu sprechen kommen. Neben dem Daetz - Centrum konnten wir in ihr eine eigenständige Miniwelt ausfindig machen und auch erkunden. Zunächst wird man sich fragen, was sich hinter diesem Begriff verbirgt? Es handelt sich um einen kulturellen Landschaftspark, welcher viele berühmte Monumente aus nah und fern in Miniatur zeigt. Im Maßstab 1 : 25 eröffnet sich dem Besucher eine architektonische Meisterleistung. Als solche kann ich das Gesehene nur bezeichnen. Es war absolut faszinierend, wie wahrheitsgetreu die Wartburg, das Brandenburger Tor und der Eifelturm dort zu sehen sind. Ich kann hier allerdings nur einige wenige Beispiele nennen, die dort bestaunt werden können. Zahlreiche weitere warten auch auf Ihren Besuch. Ich war und bin heute noch begeistert.
Nachmittags bewegten wir uns an diesem Donnerstag von unserer Unterkunft in Richtung Zentrum von Hohenstein - Ernstthal. Dabei machten sich die Besitzer von Elektrorollstühlen, wenn auch unter Begleitung von Betreuern, eigenständig auf den Weg. Wir bescherten einem italienischem Eiscafé, dessen Besitzer seine Einrichtung für uns umstellte, ganz guten Umsatz. Am Marktplatz der Karl-May-Geburtsstadt sah ich, wie Fachwerkhäuser das Bild einer Stadt komplettieren. Ihr Leben wurde früher vom Rhythmus des Erzabbaus bestimmt. Heute ist das Tempo des Sachsenrings, auf den ich noch zu sprechen komme, ein nicht unwichtiger Taktgeber.Unsere Abende waren meist frei gestaltbar. So blieb Raum für ganz persönliche Bedürfnisse. Oft saßen wir in gemütlicher Runde im Freien. Dies sei an dieser Stelle kurz erwähnt. Für den Einen oder Anderen muss Urlaub nicht nur aus Programmpunkten bestehen. Ich persönlich bin sehr froh, durch das hohe Engagement unserer Betreuer viel gesehen zu haben und nun davon berichten zu können.Als behinderter Mensch hat man nach meiner Auffassung beispielsweise weniger Möglichkeiten, als sonst, besondere Tiere einmal lebend sehen zu können. So betrachtet war die erste Station unseres Tagesausfluges, am Freitag, dem 16. Juli, nach Chemnitz gut gewählt. Wenn auch nicht alle Käfige vom Rollstuhl aus einsehbar waren, so konnte man sich doch einen tierischen Gesamtüberblick verschaffen.Am Nachmittag geschah etwas, was für einen Rollstuhlfahrer auch nicht unwichtig ist. Selbstständig einkaufen zu können, ist für viele unseres Personenkreises im Alltag kaum oder nur eingeschränkt möglich. Es war eine Besonderheit sich in einem großen Chemnitzer Einkaufzentrum mit einem Rollstuhl bewegen zu können. Sobald man das heutige Warenangebot selbst in Augenschein nehmen und sich eigenständig für oder gegen den Kauf eines Produktes entscheiden kann, bekommt man als Rollstuhlfahrer einen realistischeren Bezug zu Waren, Dienstleistungen und deren Preisen.Da wir am Freitag den ganzen Tag auf Achse waren, stand der Samstagvormittag zur freien Verfügung. Für den Nachmittag des 17. Juli wurden drei Angebote unterbreitet:1. Fahrt zum Kurort Wiesenbad2. Teilnahme am Oualifaying zur Motorrad - Grand - Prix WM am Sachenring3. Gemütlicher Nach-mittag auf dem Gelände vom BethlehemstiftGemeinsam mit anderen entschied ich mich für den Besuch des Kurortes Wiesenband. Im Vorfeld dieser Reise hörte ich durch eine Bekannte von diesem Ort und schlug ihn als Ausflugsziel vor. Da mein Alltagsleben sehr von therapeutischen Behandlungen bestimmt wird, hatte ich ein persönliches Interesse mich über die Kureinrichtung von Wiesenbad informieren zu können. Die Einrichtung gesehen und dort mit verantwortlichen Leuten gesprochen zu haben, half mir sehr bei der Entscheidung, dort vielleicht eine Kur machen zu können. Statt des Abendbrotes, was wir normalerweise vom Haus bekamen, gaben wir für den Samstagabend eine Großbestellung bei einem Pizza - Service auf. Mittels Liste, wurden alle Wünsche der Teilnehmer und Helfer berücksichtigt. Im Anschluss an das etwas andere Abendbrot begaben wir uns zum Lagerfeuerplatz. Dort trafen wir auf einige Motorradfahrer, die wegen der bevorstehenden Grand - Prix - WM angereist waren.Das Spektakel am legendären Sachsenring dauerte drei Tage und hatte insgesamt mehr als 200.000 Besucher in Begeisterung versetzt. Wir waren einundzwanzig davon, die am Sonntag, dem 18. Juli, bei den entscheiden drei Läufen der 125-iger, 250-iger und Motto-GP-Klasse dabei waren. Diese Begeisterung für Technik und Geschwindigkeit live an der Start- und Ziellinie erleben zu dürfen, war schon ein Abenteuer, was den Titel dieses Artikels rechtfertig. Die schnellsten Maschinen, sie waren dennoch wahrnehmbar, fuhren mit ca. 280 km/h an uns vorbei. Auch wenn man die Sichtposition bei so einem Ereignis nicht ständig verändern kann, ermöglicht heute moderne Übertragungstechnik, den Rennverlauf über den gesamten Kurs verfolgen zu können. Wie groß die Fangemeinde dieser Veranstaltung war, wurde deutlich, als wir die Fahrt nach Veranstaltungsende zu unserer Unterkunft nur im Schritttempo absolvieren konnten. Nach diesem Supertag war ein gemütlicher Abend bei gegrilltem am Lagerfeuer der entspannende Gegenpol.
Am Montag, dem 19. Juli, erinnerten sich einige an ihre Kindheit zurück, denn unser Tagesausflug führte uns nach Seifen. Während einer kurzen Führung in einer Schauwerkstatt konnten wir miterleben, wie beispielsweise die bekannten Räuchermännchen und Weihnachtsschmuck hergestellt und in alle Welt versandt wird. Weihnachtliche Gefühle im Sommer sind zwar ungewohnt, aber wir konnten uns persönlich davon überzeugen, wofür das Erzgebirge bekannt ist. Ein Rundgang durch das Seiffener Spielzeugmuseum verdeutlichte die Detailtreue der Holzkünstler.
Ich persönlich gönnte mir am Dienstag, dem 20. Juli, einen ruhigen Vormittag und machte es mir in der wärmenden Sonne bequem. Am Nachmittag stand eine individuelle Stadtführung auf dem Programm. Dieser schloss ich mich gerne an, während andere einkaufend unterwegs waren. Eine Helferin stammt aus Zwickau. Meine erste Wahrnehmung dieser Stadt, waren die Straßen, welche mich trotz modernen Rollstuhls durchrüttelten. Wer von Zwickau spricht, sollte den Dom St. Marien und die Priesterhäuser erwähnen. Während ich das Innere des Doms etwas dunkel und kalt wirkend empfand, so beeindruckten mich die Priesterhäuser, als die ältesten Wohnbauten Ostdeutschlands um so mehr.Von Dresden hatte ich vor meinem ersten Besuch der Stadt, am Mittwoch, dem 21. Juli, folgende Begriffe im Kopf: Frauenkirche, Semperoper, Zwinger, zweiter Weltkrieg. Der erste Eindruck persönlicher Art von Zwickau, wiederholte sich verstärkt auch in Dresden. Diese Stadt wurde, wie bekannt, während des zweiten Weltkrieges sehr zerstört, doch es gibt positives zu vermelden. Viele historisch wichtige Gebäude wurden und werden wieder aufgebaut. Dank privater Initiativen erstrahlt die Frauenkirche äußerlich wieder in neuem Glanze. Auf Grund von noch andauernden Bauarbeiten war eine Besichtigung des Kircheninneren für uns nicht möglich.Für uns ging es zunächst mit einem Schaufelraddampfer der sächsischen Dampfschifffahrt zum Schloss Pillnitz. Zunächst versetzte mich die gemütliche Wasserfahrt bei strahlendem Sonnenschein in die Lage, vorbeiziehende Landschaften und Gebäude, wozu auch einiges erklärt wurde, beruhigend und entspannend auf mich wirken zu lassen. Die Schlossanlage von Pillnitz stellt ein außergewöhnliches Ensemble aus Architektur und Gartengestaltung dar. Die gesamte Anlage war sehr schön anzuschauen. Ich erinnere mich an vieles, aber insbesondere an eine Südpflanze, deren Überwinterung mittels überschiebarem Glashaus gesichert wird. Ich sah Pflanze und Glashaus, welches durch Schienen über die Pflanze platziert werden kann. Es ist immer wieder faszinierend, was Technik bei sinnvollem Einsatz ermöglicht. Der Besuch von Schloss Pillnitz lohnte sich.Wieder zurück in der Landeshauptstadt speisten wir in einem Gasthaus mit mittelalterlichem Ambiente und entsprechender Unterhaltung. Ein Bänkelsänger und Gräfin Cosel wurden zur Freude der Gäste zu neuem Leben erwacht.
Donnerstag der 22. Juli, war unser letzter, kompletter Tag, welcher Dank unserer Helfer noch mal sehr gemütlich wurde. Vormittags war Gelegenheit für persönliche Dinge, beispielsweise Koffer packen zu lassen. Während wir Reiseteilnehmer den Nachmittag im neu eröffneten Café unseres Anwesens verbrachten, bereiteten unsere Helfer einen interessanten Abschlussabend vor.Er begann mit einer "Schatzsuche". Wir bekamen Hinweise, wie er zu finden sei. Einige Reiseteilnehmer hatten Karten bekommen. Durch die Bekanntgabe von Stichpunkten, konnte die restliche Gruppe eines unserer Ausflugsziele erraten. So nahmen wir die zweite Etappe auf dem Weg zum "Schatz". Im dritten Teil ging es darum, wie gut sich die Gruppe kennen gelernt hatte. Unsere Helfer nannten Merkmale / Verhaltensweisen, die ihnen im Laufe der Tage bei uns und unter sich aufgefallen waren. Es galt zu erraten, zu wem aus der Gruppe, die genannten Punkte passen könnten. Anschließend öffnete sich eine "Schatzkiste". Der Schatz, von dem jeder einen kleinen Teil bekam, bestand nicht aus Dingen, die in Märchen oft genannt werden. Es waren gebastelte Fotomappen. Die Aufnahmen waren von uns Teilnehmern teilweise unbemerkt entstanden. So erhielten wir Erinnerungen an erlebnisreiche Tage, wie frischer und schöner gestaltet sie nicht hätten sein können.
Am Freitag, dem 23. Juli, beluden wir nach einem letzten Frühstück unsere Fahrzeuge, bedankten uns noch einmal bei einem gastfreundlichem Haus, wo uns während den vergangenen Tagen alle Wünsche schnell erfüllt wurden, und reisten nach Erfurt - Schmira zurück. Wir kamen gesund an. Nun fuhr noch jeder in seine heimatliche Umgebung zurück.Ein großer Dank gilt den acht Helfern. Sie waren von Reisebeginn bis zum Ende im Dauereinsatz. Auf diese Weise ermöglichten sie uns eine Betreuung, welche keine Wünsche mehr offen ließ.Mögen die Schilderungen eines Reiseteilnehmers die Notwenigkeit solcher Angebote der Regionalstelle Erfurt verdeutlichen. Für viele behinderte Menschen, ich denke insbesondere an Heimbewohner, stellen sie die einzige Abwechslung des Jahres dar.
|
||
|